- Renaissance: Die italienische Malerei - Licht und Harmonie
- Renaissance: Die italienische Malerei - Licht und HarmonieIn den Jahren um 1500 wurden alle künstlerischen Ausdrucksmöglichkeiten, die die Frührenaissance entwickelt hatte, miteinander verschmolzen. Einander entgegengesetzte und sich scheinbar ausschließende Positionen gelangten zu vollkommener Balance: Naturvorbild und Ideal, Bewegung und Ruhe, Raum und Fläche, Linie und Farbe, Profanes und Sakrales durchdrangen sich vollkommen gleichgewichtig. Heinrich Wölfflin, der 1893 seinem Lehrer Jacob Burckhardt auf dem Lehrstuhl für Kunstgeschichte in Basel nachfolgte, hat diesen zeitlich schmalen Grat der Hochrenaissance als »klassische Kunst« bezeichnet, und tatsächlich sind sich Antike und Neuzeit nie zuvor und niemals wieder so nahe gekommen wie in der italienischen Malerei um 1500. Dabei stand nicht die Nachahmung der Antike im Vordergrund - sie hätte wie im 18. und frühen 19. Jahrhundert zum Klassizismus geführt -, sondern das Bestreben, die idealen Normen hinter dem Naturvorbild zur Anschauung zu bringen. Leonardo da Vinci umschrieb das Anliegen der Hochrenaissance mit den Worten: »Die Malerei bewahrt lebendig jene Harmonie der schön entsprechenden Glieder, welche die Natur mit all ihren Kräften zu erhalten nicht vermöchte. Sie erhält das Abbild einer göttlichen Schönheit, dem Zeit oder Tod sein Naturvorbild rasch zerstört hat.«Kunstgeografisch verlagerte sich die Vorrangstellung der Malerei um 1500 von Florenz nach Rom und Venedig. Das wiedererstarkte Papsttum hielt jetzt Aufgaben bereit, für die in Florenz die Auftraggeber fehlten: den Neubau der Peterskirche, die Ausmalung der Decke und der Altarwand der Sixtinischen Kapelle, die Freskenzyklen in den »Stanzen«, den päpstlichen Privatgemächern im Vatikan. Venedig verfügte in den Jahrzehnten um 1500 über eine breite, wirtschaftlich und politisch mächtige feudale Auftraggeberschicht. In Florenz dagegen setzte der Sturz der Medici im Jahre 1494 und die darauf folgende Herrschaft des von endzeitlichen Visionen erfüllten Dominkanermönchs Girolamo Savonarola der kulturellen Blüte, die unter Lorenzo, dem Prächtigen ihren Höhepunkt gefunden hatte, ein jähes Ende.In der Malerei verbinden sich mit dem Begriff der Hochrenaissance vor allem die Namen von drei Künstlern: Leonardo da Vinci, Michelangelo und Raffael. Leonardo, der älteste dieses Dreigestirns, schuf zwischen 1496 und 1498 mit dem Wandbild des »Abendmahls« im Refektorium des Mailänder Klosters Santa Maria delle Grazie jenes Werk, das zum Inbegriff »klassischer« Malerei schlechthin wurde. In seiner Farbigkeit durch den schlechten Erhaltungszustand nur noch andeutungsweise zu beurteilen, überwältigt es durch die Idealität seiner Komposition und die unerschöpfliche Ausdruckskraft der Gebärden und Bewegungen. Durch die Perspektive des Bildraumes fühlt sich der Betrachter im ersten Augenblick unmittelbar in das Geschehen einbezogen. Doch die unterschiedlichen Augpunkte von Betrachterraum und gemalter Architektur sowie die Größe der Figuren verhindern eine optische Verschmelzung von Realität und Malerei. Zudem ist die wie selbstverständlich erscheinende Gruppierung der Figuren das Ergebnis eines intensiven künstlerischen Kalküls, das durch eine Reihe von Zeichnungen belegt wird. Höchste Naturfülle und kunstvoll Gebautes gehen nahtlos ineinander über.Einen ebenbürtigen Ausgleich von Bewegungsreichtum und in sich ruhender Harmonie erreichte lediglich Raffael bei der 1509 begonnenen Ausmalung der »Stanzen«. Die »Disputà«, eine Verbildlichung der Theologie, lässt den Betrachter vergessen, dass er sich in einem schiefwinkligen, schlecht beleuchteten Raum mit unregelmäßig von Tür- und Fensterdurchbrüchen gestörten Wänden befindet - der als Bibliothek gedachten »Stanza della Segnatura«. Die konzentrisch angeordneten Figuren der irdischen und der himmlichen Zone verbinden sich mit dem halbkreisförmigen Bildformat: Fläche und gemalter Raum durchdringen einander in vollkommenem Ausgleich. Dass der Betrachter sich mit der Bildwelt der lebensgroßen Figuren nicht unmittelbar identifizieren kann, liegt am Perspektivsystem des Bildes, das - wie in Leonardos »Abendmahl« - auf einem höheren Augpunkt als dem des Betrachters beruht. Auch wenn die Figurengruppierung von größter Freiheit und Vielfalt erfüllt ist, ist sie gleichwohl das Resultat genauester Überlegung. Denn wie bei der »Schule von Athen«, der Veranschaulichung der philosophischen Fakultät auf der gegenüberliegenden Wand, fußt das ausgeführte Fresko auf einer Fülle von Vorstudien für die Gesamtkomposition und die einzelnen Figuren. Angesichts des scheinbar Mühelosen die zahllosen gestalterischen Überlegungen vergessen zu lassen, ist ein Kennzeichen aller »klassischen Kunst«.Die wichtigsten Vorstufen zu Raffaels Kunst lagen außerhalb von Florenz. Entscheidende Grundlagen wurden dem jungen Maler durch seinen Lehrer Perugino vermittelt, bei dem er seine Begabung für ausgeglichenen Bildbau, die Neigung zu weiträumigen Szenarien, die behutsame Überführung der Zeichnung, der Umrisse, in farbige Modulation schulen konnte. Eine wichtige Grundlage bildete auch das Werk Piero della Francescas, dessen Gemälde Raffael in seiner Heimatstadt Urbino studieren konnte. So ebnete Pieros Errungenschaft, atmosphärisches Licht mithilfe mehrerer übereinander liegender, durch stärkere Verwendung von Öl als Bindemittel durchscheinender Malschichten wiederzugeben, den Weg zu den »Lichtvisionen« in Raffaels späteren Werken wie der »Befreiung Petri« in der »Stanza d'Eliodoro« (1512-14) oder der »Verklärung Christi« (1517-20).Vollkommener Ausgleich aller Spannungen ist seiner Natur nach nicht entwicklungsfähig, da er entweder zur Nachahmung und damit zur Erstarrung oder zur schöpferischen Aufhebung führt. So leiteten schon die Hauptmeister der Hochrenaissance eine Entwicklung ein, die in die Spätrenaissance, den »Manierismus«, mündete. Raffael durchbrach bereits in den Fresken der »Stanza d'Eliodoro« die Fläche mit kühnen Raumkonstruktionen. Den kompositionellen Ausgleich erreichte er nun nicht mehr durch ausblancierte Anordnung, sondern durch gesteigerte Bewegung. Die Harmonie zwischen Linie und Farbe hob er zugunsten kräftiger Licht-Schatten-Kontraste auf. Leonardo da Vinci setzte mit seinem Spätwerk, etwa der »Anna Selbdritt« (um 1508), einen Meilenstein in der Geschichte der Farbe, indem er scharfe Umrisse von Figuren und Landschaften zunehmend durch farbige Modulation ersetzte: Die Gegenstände scheinen dadurch wie hinter einem Schleier zurückzutreten. Vasari bezeichnete diese Auflösung der Konturen in farbige Übergänge anschaulich als »sfumato«, das heißt abgetönt, verraucht. Hier stand Leonardo geradezu im Gegensatz zur Hochrenaissance, die er mit seinem »Abendmahl« wesentlich mitbegründet hatte. Denn die »klassissche Kunst« lebte nicht zuletzt von Tageshelle und Greifbarkeit.Eine Sonderstellung unter den großen Malern der Hochrenaissance nimmt Michelangelo ein. Gleichermaßen Bildhauer, Maler und Architekt, liegen allen seinen Werken bildhauerische Vorstellungen zugrunde. Zudem neigte sein Temperament während seines gesamten Schaffens nicht zu harmonischem Ausgleich, sondern zu extremer Unruhe. Das beweist bereits sein einziges gesichertes Tafelbild, der »Tondo Doni« (um 1503/04), ein Rundbild, das die Heilige Familie zeigt. Die Figuren in ihrer kunstvoll sich nach oben schraubenden Bewegung erscheinen wie farbig gefasste Skulpturen; die Jünglinge im Hintergrund wirken wie Studien zu Statuen. Michelangelos Interesse am kompliziert bewegten menschlichen Körper, seine anatomisch genau beobachteten und hart modellierten Akte und die Aufnahme antiker Motive in christliche Themem lassen Anregungen von Werken Luca Signorellis erkennen, etwa dessen »Jüngstem Gericht« in der Cappella di San Brizio des Doms von Orvieto (1500-03).In der Deckenausmalung der Sixtinischen Kapelle des Vatikans (1508-12) entspricht am ehesten das Bildfeld mit der »Erschaffung Adams« dem Ideal der »klassischen Kunst«: Gottvater und Adam korrespondieren in ihrer Haltung. In der Jünglingsfigur verbindet sich genaues Studium des Details mit höchster Harmonie in den Proportionen. Das Ideal-Schöne und das Natur-Schöne verschmelzen vollkommen. Im weiteren Verlauf der Arbeit an der Decke verselbstständigte sich Michelangelos bildhauerische Vorstellung zunehmend, besonders in den »Ignudi«, den nackten Figuren an den Ecken der einzelnen Szenen. Als Michelangelo nahezu eine Generation später zwischen 1535 und 1541 seinen zweiten großen Freskenauftrag, die Ausmalung der Altarwand der Sixtinischen Kapelle mit dem »Jüngsten Gericht«, ausführte, hatte er die Epoche der Hochrenaissance vollends verlassen. Materiell übersteigerte Körper verbinden sich jetzt zu einer scheinbar unaufhörlichen, kreisenden Bewegung - ein Charakteristikum des Manierismus, den die Überwindung des Statischen zugunsten eines szenischen Ablaufs kennzeichnet.Florenz, die Geburtsstätte der Renaissance, spielte in den Jahrzehnten um die Wende vom 15. zum 16. Jahrhundert eine vergleichsweise bescheidene Rolle. Andrea del Sarto und Pontormo verkörperten in ihren Jugendwerken zwar noch die Ideale der Hochrenaissance, wandten sich aber schon wenige Jahre später den Gestaltungs- und Farbproblemen des Manierismus zu. Die Florentiner Malerei ging somit nahezu übergangslos von der ausklingenden Früh- in die Spätrenaissance über.Den Kontrapunkt zur »klassischen« Malerei auf römischem Boden bildete Venedig, damals mit etwa 150 000 Einwohner hinter Neapel die zweitgrößte Stadt Italiens. Verallgemeinernd kann man sagen, dass sich die Malerei in Rom vornehmlich Form-, die in Venedig besonders Farbproblemen zuwandte. So entwickelte Giovanni Bellini, der Hauptmeister der venezianischen Frührenaissance, in seinem Spätwerk eine zuvor in der italienischen Malerei unbekannte Leuchtkraft der Farbe, die zur »klassischen« Ausgewogenheit seiner Kompositionen hinzutrat. Die neuen Möglichkeiten farbiger Gestaltung wurden durch die vermehrte Verwendung von Öl als Bindemittel freigesetzt. Hatte man zuvor vorwiegend deckende Bindemittel wie Honig, Feigenmilch oder Eigelb verwendet, erlaubte das Bindemittel Öl nun, mehrere durchscheinende Farbschichten übereinander zulegen: Diese »Lasuren« bewirkten die aus der Tiefe heraus leuchtende Oberfläche. Ausgelöst worden war dieser Wandel durch den Aufenthalt des Sizilianers Antonello da Messina in Venedig in den Jahren 1475/76: Antonello hatte in Neapel Werke der niederländischen Malerei, vor allem Jan van Eycks und Rogier van der Weydens, studieren können; er eignete sich deren Technik der Ölmalerei an und übertrug sie nach Venedig, wo er bedeutende Aufträge ausführte.Bellini gab diese neuen Errungenschaften an seine beiden bedeutendsten Schüler, Giorgione und Tizian weiter. In Giorgiones wenigen gesicherten Werken tritt die von Licht durchflutete Landschaft gleichberechtigt neben die Darstellung von Figuren und Architektur, ein in der italienischen Malerei der Frührenaissance kaum erahntes Phänomen. Zugleich vollzieht sich in seinen Bildern ein Wandel im Verhältnis zwischen Linie und Farbe: Der »disegno esterno«, der äußere Umriss, weicht einer farbigen Modulation der Konturen. Tizian gelang während seiner sieben Jahrzehnte dauernden Schaffenszeit ein außerordentlicher gesellschaftlicher Aufstieg, der für einen Künstler vor der Renaissance noch völlig undenkbar gewesen wäre: 1533 wurde er zum Hofmaler Kaiser Karls V. ernannt, als »Malerfürst« und einer der begehrtesten Porträtisten des europäischen Hochadels seiner Zeit genoss er höchste Anerkennung. Tizians Malkultur ist gekennzeichnet durch eine sensualistische Handhabung der Farbe und die völlige Auflösung der abgrenzenden, fixierenden Zeichnung. Konsequenterweise konzentrieren sich seine Landschaftsdarstellungen zunehmend auf überirdische Lichterscheinungen, dargeboten in »Himmelslandschaften« bei tief gelegtem Horizont. Wenn der Hofmaler Ludwigs XIV. und Präsident der französischen Akademie, Charles Le Brun, in einer Rede vor der Akademie sagte: »Tizian malte die Dinge nicht, wie sie sind, sondern wie seine Augen sie sahen«, so deutete er damit, durchaus kritisch, ein Kennzeichen des Impressionismus des 19. Jahrhunderts an.Prof. Dr. Manfred WundramBoehm, Gottfried: Bildnis und Individuum. Über den Ursprung der Porträtmalerei in der italienischen Renaissance. München 1985.Die Kunst der italienischen Renaissance. Architektur, Skulptur, Malerei, Zeichnung, herausgegeben von Rolf Toman. Köln 1994.Malerei der Renaissance, herausgegeben von Ingo F. Walther. Beiträge von Manfred Wundram. Köln u. a. 1997.
Universal-Lexikon. 2012.